Beim Denkwochenende von „Kultur schaffen“ dachten wir im Rahmen unserer diesjährigen Themen „Status und Habitus“ und „Wirksam werden in der ‚richtigen‘ Welt“ über Souveränität nach. Mit „Souveräninnen“ ist auch ein im vergangenen Jahr übersetzter Text der Diotima-Philosophin Annarosa Buttarelli überschrieben. Im Anschluss an diesen Text hatte Antje Schrupp in einem Blogpost zum Tod von Cesaria Evora vom möglichen Königin-Sein aller Frauen gesprochen.

Hildegard von Bingen schaut in ihrem Königinnen-Habitus auf die Welt. Foto: Maria Börgermann-Kreckl.
In diesem Zusammenhang stand die Erfahrung einer von uns, die in einem Kreativ-Workshop, bei dem sie sich selbst malen sollte, sich als eine Frau darstellte, die sich selbst krönt. In einem zuvor stattfindenden Tanzworkshop hatte sie die Erfahrung gemacht, dass sie sich durch den Gedanken an ihr Königin-Sein, für sie gleichbedeutend mit Philosophin-Sein, körperlich aufgerichtet hatte.
Angeregt durch den Satz „Ich bin eine Philosophin“ beschrieben wir Souveränität als eine Haltung, in der ich etwas sage und tue, ohne dass ich es untermauern muss im Sinne eines Beweises, womit ich mich an Schon-Gedachtes anbinden würde. Als eine Selbstautorisierung mit Respekt für das, was es noch gibt, ohne auf alles reagieren und sich auf alles beziehen zu müssen.
Bei der Frage, wie Souveränität und Wirksamkeit zusammenkommen, tauchte dann schnell wieder die Klage auf: Warum ist bei fähigen Frauen der Wunsch so viel geringer, mit ihren Ideen nach außen zu kommen, als beispielsweise bei den 20 Männern, die derzeit den Netzdiskurs (hinsichtlich Veränderung und Innovation) beherrschen? Wirksamkeit kann man zwar nicht machen, sie ist ein Gnadengeschenk, aber man kann etwas dafür tun. Warum tun viele Frauen nichts dafür, vor allem ältere Feministinnen? Wie könnte es gelingen, ihnen zu vermitteln, dass sie einen Schatz haben, wie könnte das Bedürfnis in ihnen geweckt werden, ihn in die Welt zu bringen?
Hildegard Wustmans fiel schließlich ein Bild ein, das Frauen, wenn sie es zu ihrem Selbstbild machen, das Auftreten in der Öffentlichkeit erleichtern könnte. Denn viele Frauen wollen mit dem Bild des Platzhirsches, das dem Auftreten von Männern in der Öffentlichkeit entspricht, nichts zu tun haben. Und schon gar nicht mit dem Bild der bissigen Stute, die die anderen Frauen wegbeißen muss, um allein im Mittelpunkt zu stehen. Es geht auch nicht darum, die eine Königin neben dem einen König zu werden, sondern wir brauchen das Bild:
Fünf schöne Königinnen
Nachdem einige von uns Erlebnisse erzählt haben vom gemeinsamen Auftreten mit einer oder zwei politischen Freundinnen, von tollen Erfahrungen des sich als Schöne-Königinnen-Fühlens, sammelten wir
Assoziationen zu diesem Bild:
– Eine Frau, die andere antreibt, ist eher ein strenger König als eine Königin mit anderen Königinnen. Sie sollte vielmehr eine „burning person“ sein, die andere mit ihrem Feuer ansteckt.
– Früher – zur Zeit der Frauenbewegung der 70-er Jahre – hätten Frauen sich wahrscheinlich „Fünf Hexen“ genannt als Gegensatz zum Platzhirsch.
– Es gibt Königinnen nur im Kontext von Öffentlichkeit, und es gibt dafür Zeichen, wie sie sich präsentieren. Eine Königin hat Insignien der Macht (oder der Autorität?) (Krone, Zepter, aufrechte Haltung)
– Die Souveränität der Königin definiert sich nicht wie beim Monarchen darüber, dass sie die einzige ist. Aber trotzdem muss jede allein für sich souverän sein. Nicht: Die eine bestätigt die andere, oder: Die eine geht in der anderen auf. Sondern: Zwischen beiden entsteht ein Diskursraum, der öffentlich wird. Statt dem Gefühl, einsame Ruferin in der Wüste zu sein, entsteht dann Freude aneinander und an dem, was man tut. Diese Energie des Spaßhabens ist ganz wichtig.
– Souverän heißt „über dem Gesetz“. Gesetzlichkeit kann hemmend wirken, aber sie gibt auch Halt und Orientierung. Achtsamkeit im Kontext von Königinnentum heißt, auch die im Auge zu haben, die diesen Halt brauchen. Geht achtsames gemeinsames Königinnentum also nur, wenn alle Anwesenden Königinnen sind?
– Über das Bewusstsein, Königin zu sein und bewusst diese Haltung einzunehmen, stelle ich Erfahrungen von Scham, Trauer, Versagen, Fehler, Schwäche … in einen anderen Kontext, wodurch sie da sein dürfen. Im Gegensatz zum König, der seine Schwäche verbergen und überspielen muss.
– Machen Königinnen Angst? Und wenn ja, wie können sie diese Angst in Respekt umwandeln? Ein König verstärkt extra die eigene Macht, um Angst auszulösen. Ich muss zwar nicht zwingend den anderen die Angst nehmen, und auf keinen Fall, indem ich mich erniedrige und klein mache. Eine Königin muss aber Respekt vor der Angst der anderen haben (weil Angst auch Leben sichert). Aber sie kann darauf hinwirken, dass die Person neue Überlebensmöglichkeiten erlernt.
Es ist wichtig, dass wir nicht nur von Königinnen, sondern von schönen Königinnen sprechen. Was bedeutet „schöne Königin“?
– Spielerisch, erotisch, mit Leichtigkeit, attraktiv. Schönheit kommt von selbst durch die Königinnenhaltung.
– Schöne Prinzessinnen irren sich, wenn sie glauben, sie könnten allein auf dem Weg über ihre Schönheit Königinnen werden. Frauen, die die Männer-Mainstream-Schönheitskriterien erfüllen, werden von Männern gern zu „Sekretärinnen“ gemacht, sie haben es schwerer, Königintum zu erreichen. (Es gibt eine Untersuchung von Bradley Ruffle und Ze’ev Shtudiner, die zeigte, dass Schönheit bei Bewerbungsgesprächen für Frauen im Gegensatz zu Männern kein Vorteil ist). Es gibt also Schönheitsattribute, die klein machen, und solche, die groß machen. Schönheit und Souveränität gehören zusammen, aber Souveränität ist nicht über die Stellschraube „Schönheit“ zu erreichen.
– Auch in der (Mainstream-)Welt gibt es schon ein Sensorium für Schönheit und Souveränität. Hildegard (von Bingen) wird wahrscheinlich bald zur Kirchenlehrerin ernannt. (Es ist sicher kein Zufall, dass wir das Bild von den fünf schönen Königinnen bei unserer Tagung im Hildegard-von-Bingen-Kloster gefunden haben).
– Schönheit im Kontext von Königinnen bedeutet, dass wir gern hinhören, gern hinschauen, uns gern in Beziehung setzen. Schön ist, was Begehren weckt. Das kann auch Angst auslösen, wenn das Gegenüber dieses Begehren bei sich nicht haben will.
– Wenn wir einmal gut zueinander und zu uns passende Kleidung gefunden haben, kann es sein, dass wir darin an einem anderen Tag und in einer anderen Situation nicht schön aussehen. Passende Kleidung sieht also nicht immer gleich schön aus. Subjektiv nicht passende Kleidung schwächt Souveränität. Aber passende Kleidung ist nicht reproduzierbar, sie muss in jeder Situation neu gefunden werden.
– Schönheit hat auch mit Haltung und Lebendigkeit zu tun. Und mit dem, was gesprochen wird. Und mit der Stimme. Und mit einer Ausstrahlung, die zur Lebensphase passt (Assoziation zum Bild der weißen, roten und schwarzen Göttin).
– Schönheit hat auch mit Spiritualität zu tun.
Königinsein und Inszenierung:
– Wie will ich mich am jeweiligen Tag als schöne Königin inszenieren? Wie viel Raum und Erlaubnis geben wir uns selbst und uns gegenseitig dazu?
– Wenn ich mich inszeniere, muss ich mich nicht ganzheitlich zeigen, sondern zeige Aspekte von mir kontextadäquat. Diese Möglichkeit könnte Frauen den Schritt an die Öffentlichkeit erleichtern. Denn Frauen – so Chiara Zamboni – fühlen sich eher ganz entblößt, wenn sie öffentlich sprechen, weil sie sich mit ihren Worten ganzheitlicher identifizieren, während Männer eine mittlere Distanz zu dem haben, was sie sagen.
– Inszenieren auch als Provokation. Inszenierung heißt, dass ich nicht alles sofort vermitteln muss, rechtfertigen muss. Ich entscheide, mit wem ich dann darüber reden will. Doch wenn ich mit einer Provokation „gezündelt“ und damit Aufmerksamkeit erregt habe, brauche ich einen langen Atem, um immer wieder zu vermitteln, was ich meine.
(Aus dem Protokoll „Kulturschaffen 2012“ zusammengestellt von Dorothee Markert)